fokus

Jürgen Palmer, „Dies ist nicht mein Haus“. 27.9.2025, Galerie Jakob.
Einführung von Vivien Sigmund

„Dies ist nicht mein Haus“, so lautet der Titel dieser Ausstellung von Jürgen Palmer. Es ist ein Satz, den der Künstler schon lange mit sich herumträgt, weil auch Sätze ein natürlicher Teil seines medial so universalen Werkes sind. Ein Satz, der semantisch so wundervoll schwingt, dass er uns einem Poem gleich einen Blick in den Gedankenkosmos des Oeuvres von Jürgen Palmer gestattet.

„Dies ist nicht mein Haus“, und die Betonung liegt auf dem unumgänglichen, spitz pointierten „Dies“, das eben kein Allerwelts-„Das“ ist, ist erst einmal Ausdruck einer Auseinandersetzung mit diesem Ausstellungsort, der kein antiseptischer White Cube ist, sondern ein gelebtes Gebäude, imprägniert mit der Persönlichkeit des Künstlers und Allrounders Willy Wiedmann, der früher hier lebte und arbeitete. Diese so seltsam stillen Gemälde von Jürgen Palmer müssen sich also einlassen auf dieses so sprechende Umfeld. Tatsächlich haftet der Hängung etwas Vorläufiges an, so als tasteten sich die Arbeiten erst sorgsam heran ans Ambiente, nicht um den augenscheinlich besten Platz zu finden, sondern sie halten an eher eigenwilligen Positionen inne, die uns Betrachtende im besten Fall aufmerken lassen.

Seit einigen Jahren malt Jürgen Palmer immer wieder „Hausbilder“. Die Häuser sind dabei so reduziert, dass sie einem Archetyp gleichkommen, einem Schema, einer Idee von Haus. Palmers Häuser haben keine Fenster oder Türen, einzig ein rauchender Kamin verweist bei dem ein oder anderen auf ihre Bewohntheit. Die mobilen Immobilien bleiben im Bildraum indes völlig unverortbar. Sie schweben haltlos, ohne Bodenhaftung in einem diffusen Nichts voller Rauch, voller Schatten, in dem sie einzelnen figurativen Elementen begegnen. Unzuordenbar auch sie. Ausschnitthaft. Die Bilder sind surreal anmutend auf eine Weise, die dem Realen entrückt wirkt. Und genau das tut Jürgen Palmer auch: Er rückt seine Motive ein Stück aus der Realität hinaus, um aus dieser Distanz über die Realität mit all ihren Tiefen und Untiefen nachdenken zu können. Das Figurative gerinnt ihm zur Abstraktion.

„Dies ist nicht mein Haus“. Diesen Häusern haftet etwas Verlorenes an, etwas Unbehaustes. Sie sind sich selbst kein Haus. Ein Haus, das ist Heimat, Sicherheit. Heimat, das ist der Ort, von dem man sich wünscht, dass er sich nie ändert. Der Ort, an dem wir unsere Gewissheiten fassen und möglichst nie wieder loslassen. Palmers Häuser sind wie zur Disposition gestellt. Mein Haus, mein Auto, mein Boot, diese Garanten der Selbstvergewisserung in unserer kapitalistischen Gesellschaft, sie bringen uns offensichtlich kein Heil, sie zementieren nur unsere geistige Heimatlosigkeit.

Allen Bildern von Jürgen Palmer haftet etwas Suchendes, Fragendes an. Sie zerreißen den Firniss der Normalität, nur um den Riss offen klaffen zu lassen. Die Bilder schreiben nicht fest und uns nichts vor. So dass wir als Betrachter*innen in einen ähnlichen Gemütszustand geraten, wie die Bilder: ein bisschen verloren und melancholisch, aber auch vage aus der Fassung, tastend, immer von dem Wunsch beseelt, hinter den Vorhang zu sehen. Tatsächlich gibt es in der Ausstellung ein Bild, das einen roten Vorhang zeigt. Dahinter aber existieren nur verlorene Sterne und Ödnis. Die Bilder, sie werfen uns immer irgendwie auf uns selbst zurück.

„Dies ist nicht mein Haus“. Es ist verblüffend, wie sehr dieses Bonmot auch auf die Motive der aktuellen Arbeiten zutrifft. Ein Bild mit Blumen, Autos, Sprechblasen. Der Künstler tritt in größtmögliche Konfrontation mit sich selbst, sucht den uns allen inhärenten Widerspruch. Und dann versucht er, diesen banalen Sujets etwas Existenzielles abzuringen auf diese ihm so eigene Art: leise, unerklärlich ästhetisch, ob der scheinbaren Rohheit der Pinselführung, nachdenklich, konzeptuell und sinnlich, elegisch heiter, ebenso rätselhaft wie durchlässig, immer gebrochen. In der Ungewissheit dieser Diskrepanzen gedeiht struppig die Poesie. Und eine wundervolle Stille, die es auszuhalten und zu füllen gilt.

Die Sprechblasen schweben nach der Entrümpelung des Narrativen in einem Vakuum. Auch in ihnen steckt einzig eine von Verfall und Korrosion durchzogene Sprachlosigkeit. In Zeiten wie den unseren kann man diese fast nur auf die Weltlage beziehen. Der Mensch war dem Menschen schon immer ein Wolf. Auch wenn der Wolf dabei schlecht wegkommt.

Warum malt Jürgen Palmer Autos, mögen Sie sich fragen. Und Jürgen Palmer fragt sich das auch. Warum malt man Autos? Für ihn ist das Motiv eine Zumutung, die er auch uns Betrachtenden auferlegt. Er torpediert mit diesen Bildern unser ästhetisches Empfinden, taucht die Wagen in Farben von ausgesuchter Unsäglichkeit. Er deformiert die Karosserie, schält die Gefährte geradezu aus ihren Lack- und Chrommänteln, bis nur noch ein trauriger sargähnlicher Torso übrigbleibt. Die Bilder sind, man kann es nicht anders sagen, merkwürdig, aber im Sinne von „des Merkens würdig“, des Aufmerkens, sich Merkens. Ein Auto, das ist Fetisch, Freiheit und Zuhause, Last und Lust, Statussymbol und Gefährte. Es sagt so viel über unsere Gesellschaft aus, ist aber so nah dran an uns, dass wir es schon lange nicht mehr bemerken, zumindest nicht wirklich bemerken, es niemals in seiner unnachahmlichen Grundlächerlichkeit hinterfragen. Und mit ihm am besten auch gleich uns selbst.

Für mich ist Jürgen Palmer auch ein Romantiker. Ich sage auch, denn Palmer kann in keiner einzelnen begrenzten Kunstrichtung jemals beheimatet sein. Nicht einmal in einem Medium, nicht in der Malerei und nicht im Film. Er ist ein Suchender und ganz eigennützig als Liebhaberin der Kunst hoffe ich, das ändert sich nie.

Seine Bilder sind von delikater Empfindsamkeit, voller Seele, auch wenn sie durchweg eine stille Aura aus permanenter Abwesenheit und milder Distanz verströmen. Empfindsamkeit, dieses sperrige Wort, ist heute überhaupt nicht mehr in Mode. Palmers Bilder aber sind durchdrungen davon. Der Künstler beherrscht seine Bilder nicht, er setzt sich mit ihnen auseinander. Kunstschaffen ist für ihn ein Ausloten gegenseitiger Resonanzen. Physikalisch bedeutet Resonanz das Mitschwingen eines Körpers nach einer Anregung – ich zitiere „mit einer Frequenz die nahe der Eigenfrequenz liegt“ und schöner kann man eine Begegnung mit Kunst eigentlich kaum beschreiben. Der Soziologe Hartmut Rosa sieht unsere Entfremdung zur Welt in unserem Unvermögen mitbegründet, mit den Menschen, den Dingen, der Natur in Resonanz, also in eine Art wechselseitige „Antwortbeziehung“ zu treten.

Es geht Palmer also immer um das Innere. Die ganzen Autos und glücklosen Tiere, die Häuser und ihr Widerpart die Straßen, die ätzenden Pornos und einsamen Rückenfiguren, sie sind nicht die eigentlichen Motive. Sie sind Auslöser, Anker in der Welt, Frequenzen, um das Dahinter und Darunter, das Wie und Warum und Wohin zu ergründen. Oder besser vielleicht zu erahnen, zu empfinden. Auch wenn hie und da Punkte durch sein Werk schwirren, bringen die Arbeiten nichts auf den Punkt. Sie bleiben Ahnung, Annäherung, ergebnisoffen, wie man heute so schön sagt. Und aufgrund der seltsamen Losgelöstheit seiner Motive aus dem Rahmen des Normalen, aus den Korsetten der Konventionen eröffnet Palmer uns die Möglichkeit, es ihm gleichzutun und mit den Bildern ins Schwingen zu kommen.

„Dies ist nicht mein Haus“, der Satz ist in einen Spiegel eingraviert. Selten, nie sonst eigentlich, wird Jürgen Palmer in seinen Arbeiten so explizit. Es geht schlussendlich immer auch um uns.

Zurück