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Dr. Ingrid-Sibylle Hoffmann: Landschaft mit Rems
Die Leiterin der Galerie Stihl Waiblingen, anlässlich der Eröffnung des Projekts der KulturRegion „Die Wasser des Neckar`“ am 14.06.2009

__ Jürgen Palmers Hörstück „Landschaft mit Rems“ bietet in verschiedener Hinsicht einen ungewöhnlichen Zugang zur Rems, zu den Landschaften und verschiedenen Klangräumen des Remstals und zu seinen Bewohnerinnen und Bewohnern. Ungewöhnlich, möglicherweise auch irritierend, ist zunächst einmal, dass Sie sich in einem Ausstellungsraum befinden, der sich Ihnen gänzlich ohne visuelle Arbeiten darbietet. „Landschaft mit Rems“ ist die erste Ausstellung in der städtischen Galerie im Kameralamt ohne Bilder und es ist ein Gewinn, dass der Künstler diese radikale mediale Form gewählt hat.

__ Im Moment erschließt sich Ihnen noch nicht das Besondere dieser Arbeit von Jürgen Palmer: das Bespielen dieses wunderbaren Raumes mit verschiedensten Klängen. Und dennoch läuft seit über einer Stunde lautlos im Hintergrund das Hörstück, das Jürgen Palmer für die Galerie im Kameralamt arrangiert hat – dies ist der strengen Struktur des Werkes geschuldet.

__ Im Folgenden möchte ich die soeben angerissenen zentralen Aspekte dieser Klanginstallation kurz vorstellen: ihre formale Gestaltung, die inhaltlichen Konnotationen des Hörstücks sowie den medialen Hintergrund, d. h. die Konzentration auf den Klang.

__ Zunächst ein paar Worte zur Struktur der Arbeit: Der Künstler hat sich – inspiriert von diesem Ort – entschieden, sehr stringent auf die räumlichen und zeitlichen Rahmenbedingungen der Galerie im Kameralamt zu reagieren. So bildet eine sechskanalige Haupttonspur die Basis der Klanginstallation. Diese wird über sechs in den Raumecken verteilte Lautsprecher und einen Basslautsprecher abgespielt.

__ Ein weiteres Element ist die Abspielstation im vorderen Bereich des Ausstellungsraumes. An dieser kann jeder Besucher selbst weitere Hörstücke, allesamt Interviews mit Bewohnern des Remstals, einspielen. Zusätzlich zu diesen räumlich-strukturellen Merkmalen hat der Künstler die Öffnungszeiten der Galerie als Maß für seine Installation begriffen – durch diese Entscheidung entstand ein wahrhaft monumentales Hörstück von fünf Stunden Länge. Es beginnt jeden Tag, also auch heute, um 14 Uhr und endet um 19 Uhr mit Schließung der Galerie.

__ Donnerstags wird für die Zeit zwischen 19 und 20 Uhr zusätzliches Tonmaterial verwendet, das von den Waiblingerinnen und Waiblingern selbst beigesteuert werden kann.

__ „Landschaft mit Rems“ verbindet damit gegensätzliche strukturelle Merkmale: einerseits die strenge Zeitvorgabe, die der Besucher – anders als in Ausstellungen mit zeitungebundenen Arbeiten wie Gemälden oder Zeichnungen – nicht durchbrechen kann (außer durch das Verlassen des Ausstellungsraumes). Andererseits eine Offenheit für zufällige Klangkonstellationen durch die Möglichkeit, dem Raumklang selbst weitere Klangstücke zuzuschalten. In Zusammenhang mit der John-Cage-Ausstellung in der Galerie Stihl Waiblingen ist es eine schöne Fügung, dass „Landschaft mit Rems“ durch einige Gestaltungsmerkmale geprägt ist, die auch für Cages Schaffen typisch sind (diese Fügung dürfte nicht ausschließlich zufällig zustande gekommen sein – Jürgen Palmer hat Cage persönlich kennen gelernt).

__ Diese Gestaltungsmerkmale sind: die soeben erwähnte Einbeziehung des Zufalls, die zeitliche Strukturierung, die Partizipation der Zuhörer, Momente der Stille und eine teilweise Gleichberechtigung völlig verschiedenartiger Klänge. Das Klangmaterial für das umfangreiche Hörstück hat der Künstler in vielen Stunden auf Streifzügen durch das Remstal und durch Waiblingen gesammelt. Die dabei aufgenommenen Klänge, Stimmen und Geräusche kreisen um das Thema Wasser, um die Rems und um ihre landschaftliche und emotionale Umgebung.

__ Anhand von Aufnahmen, die der Künstler in der Natur eingefangen hat, aber auch anhand von Studioaufnahmen, Interviewfragmenten und musikalischen Partien werden die industriellen und natürlichen, die städtischen und ländlichen Facetten des Remstals teils konkret, teils atmosphärisch-assoziativ präsent. Die Emotionen und Vorstellungen, die durch die verschiedenartigen Klänge geweckt werden, eröffnen einen neuen, einen – wie ich meine – äußerst anregenden Blick auf das Remstal.

__ Jürgen Palmer, der Stuttgarter, hat als von außen Kommender die nötige Distanz und die erforderliche Neugier, um sich die für ihn zunächst wenig vertraute Umgebung über ihren spezifischen Klang, ihre Töne zu erschließen. Er ist ein äußerst sensibler Beobachter – das spürt man nicht allein an der vielfältigen Sammlung von Geräuschen und Tönen, sondern auch beim Hören der Interviews. Die Äußerungen seiner Gesprächspartner sind wunderbar authentisch, er hat die Menschen zum Reden gebracht und sie haben viel zu erzählen über ihre Heimat, das Remstal.

__ Damit Sie sich vorstellen können, welche Vielfalt an Geräuschen und Klängen sie erwartet, möchte ich einige Partien aus dem Hörstück kurz nennen: Das Stück beginnt mit dem Part „Variation über Tropfen“, der feinste Modulationen des Tropfens hörbar macht. Sie erleben unter anderem das Teilstück „Stadtrand – Stadtzentrum“, das Geräusche des Stadtlebens im Remstal enthält. Sie hören Wind in Gräsern, Helikoptergeräusche, die Fischerchöre, tosendes Hochwasser, Mühlenlärm. Die Interviews lassen uns teilhaben am Obstbau im Remstal, machen das historische Flößertum lebendig oder führen uns in die Welt der Mühlen. Durch all diese Tonstücke entsteht ein reiches Klangbild unserer regionalen Umgebung. Dieses enthält auch Momente der Irritation, Klänge, die sich nicht deuten lassen, die verstören, die unangenehm sind. Doch gerade auch durch diese sperrigen Elemente eröffnet die Klanginstallation uns Möglichkeiten der anregenden, neuartigen Auseinandersetzung mit unserer Umwelt. Ich hoffe, dass Sie sich mittlerweile vorstellen können, dass auch ohne Bilder in dieser Ausstellung nichts fehlt. Der Raum wird in faszinierender Weise vom Klang erfüllt und es werden uns dadurch andere, bei vielen Menschen (mich eingeschlossen) weniger ausgebildete Wahrnehmungsschichten erschlossen. Bezeichnend ist, dass in der Sprache das Hören weitaus weniger präsent ist als das Sehen: So habe ich vorher formuliert, die Klanginstallation eröffnet einen neuen Blick auf das Remstal, wenngleich sie sich ausschließlich an den Hörsinn richtet. Das breite sinnliche Instrumentarium des Gehörs einmal in seiner Gänze anzusprechen, dies gelingt Jürgen Palmer in „Landschaft mit Rems“. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf den unglaublichen Facettenreichtum von Klängen, Tönen, Stimmen. Er nutzt in seinem Umgang mit Tönen verschiedenste Stilmittel: das der Collage, der Reihung, der Schichtung, er verfremdet und nutzt andererseits Originaltöne. Eine wesentliche Schicht des Hörstücks ist also die Wahrnehmungsschulung – auch hier lässt sich eine Verbindungslinie vom gesamten künstlerischen Schaffen Jürgen Palmers zu John Cage ziehen.

__ Jürgen Palmer ist kritischer Beobachter der Gesellschaft, vor allem auch der Medien und des Medienkonsums. Er arbeitet sowohl in herkömmlichen künstlerischen Techniken wie Zeichnung und Gemälde als auch mit multimedialen Installationen. In den letzten Jahren sind seine Arbeiten häufig auf ein Medium konzentriert, um jeweils einen Sinn in besonderer Weise anzusprechen. So ermöglicht er mit „Landschaft mit Rems“ eine bewusstere Wahrnehmung von Klang, er fordert zum aktiven Zuhören heraus. Die Klänge regen den Zuhörer je nach persönlicher Sinneskonstitution möglicherweise zur Visualisierung von inneren Bildern an, sie können allerdings auch einfach nur Klang bleiben. In jedem Fall lassen die Geräusche andere sinnliche, emotionale und geistige Zonen anklingen als in einer herkömmlichen Ausstellung. Mögen die Besucherinnen und Besucher sich auf das große Hörstück einlassen und nach dem Hörerlebnis im Kameralamt den alltäglichen Geräuschen und Klängen intensivere Beachtung schenken.

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